Homolka. [05.07.2005 pmg] Karla Homolka wurde wegen der Beteiligung am grausamen Mord an zwei Schulmädchen zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Gestern waren diese zwölf Jahre vorbei. Weil sich nach dem Prozess herausgestellt hatte, dass ihre Beteiligung an den mit ihrem damaligen Mann begangenen Taten vermutlich doch größer war, als zuerst angenommen, ist die kanadische Öffentlichkeit über die Freilassung Homolkas empört. Die Medien kennen in diesen Tagen wenig andere Themen. Vor ihrer Haft lebte Homolka in der Gegend um Toronto, doch jetzt will sie sich in Montréal niederlassen. Es geht um abscheuliche Verbrechen, um das Handeln der Justiz und es geht um die Medien. Aber in Kanada geht es eben immer wieder auch ein bisschen um das Nebeneinander der englischkanadischen und der französischkanadischen Landesteile.
Homolkas Anwälte versuchten parallel zu ihrer Entlassung einen gerichtlichen Schutz vor aufdringlichen Reportern für die Freigelassene zu erreichen. Gleichzeitig fuhr Homolka vom Gefängnis direkt in das Fernsehstudio von Radio-Canada. Radio-Canada ist die französischsprachige Variante der staatlichen Hörfunk- und Fernsehgesellschaft hier, die auf Englisch Canadian Broadcasting Corporation CBC heißt. Hier gab sie ein exklusives Interview, das in voller Länge in den Hauptnachrichten gesendet wurde. Sie sagte dabei, dass sie sich mit Radio Canada bewusst für französischsprachiges Medium entschieden habe, weil sie die Berichterstattung in den englischsprachigen Medien als besonders hart und unfair empfunden habe. Im Gefängnis hatte sie Französisch gelernt, das sie bei dem Interview vorführen konnte - mit hörbarem Akzent. Tatsächlich ist das staatliche kanadische Fernsehen natürlich kein ausgesprochen französisch-kanadisches Medium und das Interview lief natürlich auch auf CBC mit englischen Untertiteln.
Das Ganze war ein in mehrfacher Hinsicht seltsames, ja gespenstisches Schauspiel.
-> Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Juni 2005