Alltag und Identität _ Notizen aus Montréal   zuletzt   6   5   4   3   2   1 
Briefwahl. [12.09.2005 pmg] Heute sind sie endlich angekommen und ich habe sie so schnell wie möglich bearbeitet und zurückgeschickt - meine Briefwahlunterlagen. Bereits am Folgetag, nachdem es im Internet bereitgestellt worden war, hatte ich das Online-Formular des Landeswahlleiters Berlin ausgefüllt, um an der vorgezogenen Bundestagswahl per Briefwahl teilnehmen zu können. Ich tat es selbstverständlich aus staatsbürgerlichem Pflichtgefühl heraus, das naturgemäß im Ausland ungeheuer wächst.
Zuvor hatte ich vom deutschen Generalkonsulat in Montreal die Auskunft erhalten, dass die Übersendung der Unterlagen auf dem normalen Postweg schneller ginge als mittels des Kurierdiensts des Auswärtigen Amtes. Letzter war mir von der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters empfohlen worden. Er kann aber nur von Deutschen in Anspruch genommen werden, die sich in Ländern aufhalten, die über ein offenbar wenig zuverlässiges Postwesen verfügen, dazu gehört Kanada nicht. In jedem Fall ist der Postweg das Entscheidende bei dieser vorgezogenen Wahl mit engen Fristen, wenn es um die rechtzeitige Hin- und Rücksendung der Unterlagen geht. Denn Stimmen, die in Wahlbriefen nach dem Wahltag am 18. September in Deutschland ankommen, sind ungültig.

Komplette Briefwahlunterlagen. Foto: Paul Morf Gronert

Das Land Berlin lässt bereits seit einiger Zeit seine Briefsendungen an die Bürgerinnen und Bürger durch die PIN AG befördern, ein Konkurrenzunternehmen zur Deutschen Post AG. Auf dem mir heute zugegangenen Brief mit dem Wahlunterlagen kann man einen niederländischen Poststempel erkennen. Vermutlich ist es für PIN billiger transatlantische Sendungen über die Niederlande zu verschicken, aber offenbar dauert es auch länger. So lange, dass ich jetzt nur noch hoffen kann, dass mein Wahlbrief in fünfeinhalb Tagen Berlin erreichen wird. Zu den Eigenheiten des Wahlgeheimnisses gehört es, dass ich nie erfahren werde, ob meine Stimme am nächsten Sonntag mitgezählt worden sein wird oder nicht. Das passt dann wiederum gut zu dem Gefühl, weit weg von dem innenpolitischen Geschehen der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Auch der Wahlkampf war weit weg. Angenehm weit weg. Andererseits gehören einstudierte Fernsehduelle, pflichtschuldige Parteitagsberichte und sinnentleerte Plakaten irgendwie zu dem Spektakel der parlamentarischen Demokratie dazu.
Als der lang ersehnte Stimmzettel dann endlich vor mir lag, kam allerdings der schwierigste Teil: Wo mache ich jetzt meine beiden Kreuze? Am Ende habe ich mich dann doch entschieden und bin sofort zur Post gefahren. Und nun fühle ich mich wie ein vorbildlicher Staatsbürger - in Zivil. Was auch immer am Ende rauskommt - an mir soll es nicht gelegen haben.

Siehe auch Wahllos

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