Alltag und Identität _ Notizen aus Montréal   zuletzt   6   5   4   3   2   1 
Tütenberg. Foto: Paul Morf Gronert
Tüten. [15.07.2005 pmg] Das Zivilisationsniveau in Montréal ist dem in Berlin ziemlich ähnlich. Da fallen die kleinen und großen Unterschiede im Alltag umso mehr auf. Der hiesige Supermarkt meines Vertrauens hat natürlich sieben Tage in der Woche geöffnet und das bis in den späten Abend. Und an jeder Kasse scheint das wichtigste neben der Kasse selbst eine dicke Rolle mit Plastiktüten zu sein. In jedem Geschäft wird hier alles, was man einkauft, eingetütet. Sofort und ungefragt. Es ist ein Kassiererinnenreflex. Dem umweltbewussten Deutschen, der noch dazu meistens eine Tasche bei sich führt, muss das unangenehm aufstoßen oder absurd vorkommen, stammt er doch aus einem Land, in dem eine Plastiktüte fast immer extra bezahlt werden muss. In bestem Schulfranzösisch habe ich mir also den Satz "Un sac n'est pas nécessaire." zurecht gelegt und murmele ihn in der Kassenschlange vor mich hin. Bis ich dran bin und dann meistens durch das Bezahlen doch so abgelenkt werde, dass es der Kassiererin in einem unaufmerksamen Moment meinerseits gelingt, mit wenigen eingespielten Handgriffen meine Waren in einer, meist aber in mehreren, von der Rolle gerissenen Tüten verschwinden zu lassen.

Häufig wartet hinter der Supermarktkasse auch noch zusätzliches Einpackpersonal, das mir praktisch keine Chance lässt, das Eintüten zu verhindern. Immer wieder stehe mit bereits geöffnetem Rucksack und voller Konzentration in der Schlange, während der Einpacker bereits die Tüte vorbereitet, schon leicht geöffnet in der Hand hält. Es ist eine Lauerstellung auf beiden Seiten.
Heute konnte ich einen kleinen Teilerfolg verbuchen. Während die Einpackhilfe schon kräftig am Eintüten war, konnte ich den letzten Rest meines aus acht Artikeln bestehenden Einkaufs im Rucksack verstauen und so eine dritte Tüte verhindern.

Die Tütomanie scheint allgegenwärtig und man kann nichts dagegen tun. Zuhause sammelt sich schnell ein Tütenberg an. Sie einfach wegzuwerfen, verhindert zunächst eine Art schlechtes Gewissen. Aber so viele Mülltüten braucht kein Mensch.

Siehe auch Einkaufswagen und ATSA

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